Bergauf, war sonst noch was?

20.10.2009 (m) – Pingchhuazhen – Yanyuan: 61km, 1800 Hm „Oh Mann, man hört ja gar nichts!“ Direkt unter unserem Zimmerfenster befindet sich, so haben wir gestern Abend noch erfreut festgestellt, ein Bouzi-Lokal. Und jetzt: die werden doch nicht noch zu haben? Erleichterung stellt sich ein, als wir um die Ecke linsen: Dampf! Und Menschen! Und kleine Teigbällchen! Ein Körbchen geht direkt weg, das zweite verschwindet in einem Plastiktütchen und wird als Wegzehr auf dem Gepäckträger verstaut. Wir biegen aus der Einfahrt und für die nächsten vier Stunden ist die Neigung der Straße vorgegeben. Es geht stetig bergauf. Es sei aber gleich erwähnt, dass die gestrige Fahrt ihre Fortsetzung findet. Wind, Straßenbelag und Streckenanlage sind zum Fahrradfahren geradezu geschaffen. Hatte ich schon erwähnt, dass wir heute in kurzen Hosen gefahren sind? Nein. Also, wir sind heute in kurzen Hosen und T-Shirt gefahren, sogar auf 2500-3000m ist es so warm, man glaubt es kaum. Die Straße schlängelt sich in den herrlichsten Serpentinen das Tal hinauf. Die Schlucht ist eigentlich ähnlich eng und steil wie vor einigen Tagen rund um Wenchuan. Jedoch sind die Hänge so weit das Auge reicht begrünt, oft geht sogar der Wald bis an die obersten Gipfel und Grate, die doch bis 4000m hier aufragen. So wirkt alles wesentlich behaglicher, das Auge erfreut sich an der Landschaft. Über dem Tal liegt eine angenehme Ruhe, vor allem die Menschen am Straßenrand strahlen eine gewisse Zufriedenheit aus, auch wenn hier natürlich jeder Yuan mit den eigenen Händen verdient, den Beeten inmitten der steilen Hängen abgerungen werden muss. Hier herrscht der Maisanbau vor, vor den Häusern sitzen Männer, Frauen, Familien und schütten mehr oder minder große Hügel mit Mais auf. Die abgefieselten Kolben liegen in großen Bergen um die Hütten oder hängen zu großen Bündeln zusammengeschnürt an den Dachrinnen, Bäumen oder Türstöcken. Erneut hat sich das Erscheinungsbild der Menschen gewandelt. Wir bereisen das Siedlungsgebiet einiger Minderheiten, vornehmlich dem Stamm der Naxi. Einige Frauen tragen fast schon festliche Kleider, den Kopf ziert ein großer, weit ausladender, schwarzer Hut. Die Männer tragen teils schwarze Turbane. Wieder einmal begegnen uns am Straßenrand nach der „Schrecksekunde“ (was sind das für Aliens mit großen Brillen und einem Plastikhut, die hier auch noch mit dem Fahrrad fahren) lächelnde Gesichter. Den langen Anstieg von 1500m unterteilen wir für uns in einige Abschnitte, nach jedem erfolgreich bewältigten gibt’s als Belohnung ein „French Bread“, Muffin, Schokolade oder ein Kaubonbon. Leider haben wir wieder mal keine Wurstsemmel zur Hand! Am frühen Nachmittag erreichen wir den Pass auf 3200m Höhe. Die Sonne hat sich unterdessen den Wolken geschlagen gegeben und es weht ein kalter Wind. Für die Abfahrt mummeln wir uns dann doch wieder in Windstopper und langen Hosen. Nach einigen steilen Serpentinen, die uns durch wunderbare Landschaft in tiefere Regionen bringen, reißen wir uns die langen Sachen aber gerade noch rechtzeitig vor dem Hitzschlag wieder vom Leib. Leider waren die Serpentinen so steil, dass sie uns unter die heutige Etappenziel-Höhe bringen, so dass noch ein Anstieg nach Yanyuan lauert. Dieser beweist dann auch eindrücklich, warum wir Kehren so gerne mögen. Vier Kilometer lang, schnurgerade, 200 Hm. Während heute Vormittag jede Kurve neue Blicke und kleine Überraschungen bereit hielt, ist an so einer Geraden nichts Spannendens. Und da Bergfahren ja bekanntermaßen meist Kopfsache ist, fällt dem Kopf auf der Geraden leider nichts anderes ein, als genervt einen Punkt in der Ferne zu fixieren und diesen herbeizusehnen. Das dauert dann – und meistens zu lange, um noch Spaß zu machen. Aber das kann natürlich den Erfolg der heutigen Etappe trotzdem längst nicht mehr trüben. Andere Radfahrer sehen das manchmal natürlich auch anders, deren Kopf fixiert dann eher die großen Apfelplantagen und die Verkäufer hintern den unzähligen Ständen, die alle ihr Produkt fein säuberlich in Kisten für die Kundschaft zurecht drapiert haben. Manch einer verdingt sich auch mit selbst getrockneten Apfelringen. Ein schönes Bild Mitten im Oktober, wo alle zwischen den im Herbstwind schwankenden Bäumen, den umher wirbelnden bunten Blättern in der Abendsonne mit der Apfelernte oder dem Verkauf der rot leuchtenden Früchte beschäftigt sind. Der Rest des Tages ist wieder mal schnell erzählt – DZ, heiße Dusche, lecker Essen! Danke und gut‘ Nacht.

20Okt2009

Related posts

Huhu, Lugu Hu!

Aus dem Zug in die Vollen

Mitternachtszug

Diese Website verwendet Cookies, um Ihr Erlebnis zu verbessern. Wir gehen davon aus, dass Sie damit einverstanden sind, aber Sie können sich dagegen entscheiden, wenn Sie es wünschen. Mehr