Auf alten und neuen Wegen

Mit dem Überschippern des Grenzflusses Rio Guadiana nach Ayamonte mussten wir die Uhren eine Stunde nach vorne stellen, verstanden ab sofort wieder ein paar Brocken der Sprache und stellten gleich fest, dass die Spanier im Vergleich zu den Portugiesen gerne ein bisschen lauter sprechen.

Die folgenden Kilometer doppelten sich mit unserer Route von 2015 und so war für uns aus den vergangenen Erfahrungen klar, dass wir kein zweites Mal nach Sevilla radeln wollen. Die Strecke ist auf die gesamte Länge gesehen nicht so attraktiv, dass man sie öfter fahren muss. Wir folgten dem Eurovelo 1 (hier mal wieder mit ein paar Schildern versehen) durch Naturschutzgebiete inmitten von Schwemmland. Nicht hässlich, schön angelegt und autofrei, jedoch ein ziemliches Gehoppel. Da es in der Nacht zuvor heftig geregnet hatte, wichen wir aber oft auf geteerte Nebenstraßen aus, was zudem den Vorteil hatte, dass wir schneller vorankamen.

Die Naturschutzparks darf man sich hier aber auch nicht allzu romatisierend vorstellen. Das Gebiet um die Tümpel, in denen die Flamigos stehen und über die die Störche gleiten, ist Obst- und Gemüseanbaugebiet. Plastikplanen der Gewächshäuser säumen die Straßen, oder flattern zerfetzt im Naturpark herum. Mottfeuer verpesten die Luft. Was wird hier angebaut? Für mich sieht es nach Beeren aus. Neue Erdbeerpflanzen wurde in einem Gewächshaus gesetzt und in einem anderen erspähe ich eine Arbeiterin die – logischerweise noch unreifen – Himbeeren ernten. Bis sie in deinem Dezember-Smoothie landen, haben sie wahrscheinlich ihre richtige Farbe erreicht. Aber den Geschmack wohl kaum. Und der kann einem sowieso vergehen, wenn man sich mit den Arbeitsbedingungen der Migranten befasst, die nicht nur hier wieder einmal die „Drecksarbeit“ machen. Gerade wird ja viel über den Boykott der WM in Katar diskutiert und man hält sich für gar so moralisch, wenn man diese WM nicht anschaut. Zwangsarbeit? In Katar ja, aber nicht bei uns in Europa. Fehlgeschlagen. Was ist Zwangsarbeit? Wenn ich gezwungen werde, für viel zu wenig Geld zu arbeiten? Oder wenn ich unbedingt arbeiten muss, und aus diesem Zwang heraus, jede Arbeit mit welchem Hungerlohn auch immer plus Gebühren an „Agenturen“ annehmen muss? Was mich bei all dem am meisten schockiert ist, dass nicht einmal dafür gesorgt wird, die Leute einigermaßen würdig unterzubringen. Wir sehen halb eingestürzte Steinbaracken, in denen ein Feuer gegen die Kälte entfacht wurde, die Wäsche draußen flattert im Wind. Und wir sehen – wieder einmal, denn das haben wir 2015 auch schon gesehen – Plastikverschläge unweit der Gewächshäuser im Wald. Dort leben die Menschen ohne Wasser, ohne Strom, ohne Heizung (es ist jetzt bereits ziemlich kalt und nass hier). Ein paar alte Plastikstühle und ein paar aufgestellte Spiegel zeigen, dass dies hier Lebensalltag von Menschen ist. Die Beere im Gewächshaus hat es wahrscheinlich wärmer und gemütlicher als diejenigen, die sie ernten. Warum ist das in „unserer EU“ möglich? Müssten nicht die Betriebe verpflichtet werden, die Arbeiter menschenwürdig unterzubringen? Wer mehr über die Problematik des Anbaus der ach so beliebten Frühstücksbeeren lesen will, kann diesen Artikel zum Thema eines Anbaugebiets in Südportugal lesen.

Über Lepe und Cartaya ging es bis El Portil, vorbei an Touristenhochburgen, die jetzt im Winterschlaf lagen. Man möchte sich bestenfalls vorstellen, wie das im Sommer hier ist – dabei sein in keinem Fall! Ein schön angelegter Radweg brachte uns entlang der Autobahn (klingt hässlicher als es war) bis kurz vor die Tore Huelvas.

Aber eben leider nur bis kurz davor. Gedanklich schon beim Abendessen, standen wir plötzlich im Dreck! Unvermittelt mündete der Radweg unter der Autobahnbrücke in ein braunes Etwas. Wir wuchteten unsere – nach der Pflege in Lissabon bis dahin noch super sauberen – Räder durch den Matsch. Und zwar richtig fies klebrigen Supermatsch, der in der Folge frohlockend Kieselsteine speicherte.

Durch einen steilen Straßengraben ging es hinauf auf die Straße, die zur auch für Räder geeigneten Brücke der Nebenstraße führte. Schon als wir darauf zurollten, sahen wir allerdings, dass diese komplett verbarrikadiert war. Auch das Ansprechen mehrere Arbeitenden brachte keinen Erfolg. „Ihr kommt hier net rüber!“ Selbst ein fließend spanisch Sprechender nach Gran Canaria ausgewanderter Münchner Reiseradler, der gerade des Weges kam und auch eine Brücke suchte, konnte uns die Tore nicht öffnen. Wir sollten halt über die Autobahnbrücke! Geile Idee…haben wir dann auch gemacht. In dem Fall: Augen auf und durch! Kein Seitenstreifen, dafür in kurzen Abständen kleine, reflektierende Huppel, über die man besser nicht fährt, wenn man die Spur halten will. Kurz gesagt nichts, was man wiederholen möchte! Aufgrund des Tempolimits von 60 km/h für die Autos waren die zwei Kilometer aber dann doch einigermaßen machbar, wenn auch mit erhöhtem Puls und Schweißverlust.

Mit unseren Matsch-Stollen, die auch nach längerer Fahrt konstat an den Reifen pappten, gings erst mal in die Autowaschanlage. Ein Spektakel folgte auf das andere!

Der Abend in Huelva verlief hingegen unspektakulär, mal abgesehen von zwei Fußballspielen und glücklichen Spaniern ob des 4:2 der Deutschen gegen Costa Rica. In der Bar schaute mich der Kellner beim Bezahlen mitleidig an: „How does it feel? Leaving the World Cup!“. Ich gab ihm zu verstehen, dass es mir ziemlich egal war und wir verabschiedeten uns lächelnd.

Geplant war die Weiterreise Richtung Süden: Cadiz – Tarifa – Gibraltar. Machten wir nicht. Das Wetter verhieß am Atlantik nichts Gutes, die lange Trockenheit in Spanien näherte sich dem Ende und lange anhaltende und starke Regenfälle häuften sich in den Wettermodellen. Den Reiseradler freut‘s nicht so, die spanischen Wetterfrösche atmeten auf. Immerhin hatte Spanien monatelang unter einer heftigen Dürre gelitten, einige Stauseen für die Wasserversorgung lagen bei weniger als 30% der Kapazität. Und gefüllt werden diese Speicher nun mal im Winter!

In Spanien stand die Brückenwoche an: Zwei Feiertage (6. und 8.12.) werden von den Wochenenden eingerahmt und mit ein paar Urlaubstagen extra zu einer schönen Ferienwoche. Zur Folge hat das, dass sämtliche Züge aus Sevilla und Huelva heraus komplett ausgebucht waren! Radfahren kam für uns ab hier nicht in Frage (siehe oben), blieb also erst mal nur der Fernbus. Unsere Räder konnten wir gut in den Laderaum bauen und die eineinhalb Stunden über die Autobahn gingen schnell vorbei.

So gab‘s Frühstück in Sevilla und noch mal eine kleine Runde durch die Innenstadt. Waren wir wirklich schon mal hier? Irgendwie kam uns sehr wenig bekannt vor, obwohl wir 2015 schon mal zwei Tage in der Stadt waren?! Wir kamen zu dem Schluss, dass man sich emotionale Dinge eben besser merkt (keine Weltneuheit), Sevilla verküpfen wir mit einer feucht-fröhlichen Nacht in einer kleinen Flamenco-Bar und unglaublich fettigen Tapas in einer Kneipe in einem Außenviertel. Die Sehenswürdigkeiten hatten uns wohl nicht so in den Bann gezogen…vielleicht dieses Mal?

Wenig später wurden die Sabbatradler schließlich für drei Tage zu Sabbat-Drivern. Aus der Tiefgarage kurvte gegen Mittag ein VW T-Cross mit Reiserädern im Kofferraum Richtung Granada.

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