Entspannt durch grüne Hügel ans Meer

Von der Grenze bis Coimbra

Wir setzten die Fahrt von Ciudad Rodrigo im selben Stil fort – schnurgerade, hügelig, schön. Dann das Schild: Portugal 1 km. Die ganze Infrastruktur noch aus alten Zeiten. Riesige Zollabfertigungsanlagen, Restaurants, Cafés, Kaufhäuser. Nur irgendwie etwas unbelebt. Klar, die Feriensasion war längst vorbei, aber dennoch wirken Grenzübertritte ohne Grenzkontrolle auf uns nicht ganz so magisch. Einfach ist es, klar, kein Geldwechseln, kein Visum, keine strengen Blicke. Aber eben auch nichts Besonderes. Der Natur, der Landschaft, sind von Menschen gemachte Grenzen sowieso egal und daher ging es auch erstmal so weiter. Was aber immer wieder faszinierend ist: an Landesgrenzen ändern sich Sitten, Gebräuche, die Sprache, die Mentalität. So auch hier. Portugiesisch statt Spanisch: wir verstehen kein Wort mehr. Obwohl es viele ähnliche Wörter wie im Spanischen gibt, so ist die Aussprache doch so anders, das wir nicht mehr mitkommen. Manchmal klingt es fast russisch. Keine Tapas mehr! Warum zum Teufel haben die Portugiesen das nicht übernommen? In den Bars an den Theken gähnende Leere. Nurmehr ein paar uninspirierte und zu trocken geratene Backwaren zum „Meia con leite“ oder „Pingado“, wie unsere Kaffeespezialitäten hier nun heißen. Die Menschen sind ebenso freundlich, zurückhaltend, ruhig. Irgendwie noch ein bisschen leiser als die Spanier.


Schnell schon änderte sich die Landschaft dann doch. Es wurde viel grüner, die Anstiege an den zahllosen Hügeln teils schweißtreibend steil. Auf 50 Kilometer machten wir stets um die 750 bis 1000 Höhenmeter – ohne dabei einen „wirklichen“ Berg erklommen zu haben. Das GPS wies uns kleine und kleinste Wege, weg von den großen Straßen mit den schnellen Autos und den dicken LKWs. So kamen wir sicher und radfreundlich, aber auch nur langsam voran. Zuerst nach Guarda, eine Kleinstadt auf einem riesigen Hügel. 200 Höhenmeter bis zum Zentrum, dem Hauptplatz, an dem wir ein schönes Gästehaus in einem alten, knarzenden Gebäude bezogen.

Das Abendessen typisch portugiesisch. In einer Churassceria gab es für jeden zwei riesige, über Holzkohle gegrillte Schnitzel auf einem Berg „batatas fritas“, dazu Salat und kräftigen Rotwein. Wow, das war lecker. Sieben Euro pro Nase.
Das bringt uns zum nächsten Thema: Wie sieht es in Portugal wirtschaftlich aus? War da nicht auch eine fette Krise? EU-Rettungsschirm? Stimmt alles. Offiziell steht Portugal seit 2014 wieder auf eigenen Füßen, die Nachwirkungen sind aber überall zu sehen. Auch hier viel Leerstand bei den Wohnungen, auf dem Land sieht es mancherorts eher aus wie in China…wie in China auf dem Land. Insgesamt ist das Preisniveau eher niedrig, der Espresso 0,60€, Essen hatten wir ja weiter oben schon geklärt. Teuer sind im Supermarkt vor allem die importierten Waren – von Haribo über Milka bis Paulaner. Der Rest geht eher ziemlich günstig über den Scanner. Fleisch zum Beispiel: Oh je! 250g Hackfleisch 0,53€! 300g Schweineschnitzel – unter 1€. Man mag gar nicht wissen, wie das produziert wird. Es ist mega-billig – ob die Portugiesen deshalb so viel Fleisch essen? Jedenfalls bekamen die Metzgermeister stets Schweißperlen auf die Stirn, wenn wir unsere homöopathischen Mengen orderten. Einer schaufelte bei meiner Bestellung von 200g gleich mal 650g in die Tüte – wir einigten uns dann auf 250g. Verstanden, was ich mit so wenig wollte, hat er wohl bis heute nicht.
Die Menschen, denen wir auf den kleinen Dörfern begegneten waren vor allem eins: alt. Und dann: erstaunt und noch mal erstaunt. Meist wurden wir angeschaut, als kämen wir vom anderen Stern. Im letzten Moment dann noch, wenn wir wirklich ausgiebig gegrinst und gewunken und genickt hatten noch ein schnelles: „Boa tarde!“ Es sind interessante Menschen, die wir gerne auch mal fotografieren würden, aber irgendwie trauten wir uns das nicht. Eben einfach eine sonderbare Vorstellung bei einem so verwunderten, ja manchmal geschockten Menschen noch anzuhalten und ihn vor die Linse zu nehmen. In Asien haben wir das immer gemacht, aber da wirken die Leute meist offener, lustiger, interessierter.
Weiter ging es über einen 1450m hohen Pass bei Manteigas, der leider keinen Namen hat. Mit ihm überquert man die höchsten Erhebungen der Serra Estrella. Eine tolle Gegend, der Pass, mit moderaten Steigungen um 5% und fast autofrei, ein echter Leckerbissen.

Das Wetter trübte sich ein, wir buchten uns ein paar Mal in wunderbare Unterkünfte der Marke „turismo rural“ ein. In Sachen Komfort und Gastfreundschaft liegen die Portugiesen hier weit vorne. Mal gab‘s einen offenen Kamin im Wohnbereich des Appartements, meist eine kleine Küche (so konnten wir mal wieder schön frisch und vitaminreich kochen!) und immer viel Lächeln vom Besitzer. Das war schon herrlich. Und wir froren nachts in den Bergregionen nicht und hatten morgens ein trockenes Zelt.


In der Provinzstadt Oliveiera do Hospital wurden wir von einem Deutschen angesprochen. 880 Tage radelte er vor 20 Jahren durch die Welt, anfangs ohne, dann mit seiner Frau. Jetzt leben sie mit dem unterdessen 14-jährigen Sohn seit 16 Jahren in Portugal. Eine echte Aussteigergeschichte. Sie luden uns auf ihre Quinta ein, bekochten uns und erzählten ihre Geschichte vom und über den Ausstieg aus Deutschland. Dazu gibt es dann eine WELTfolge – die Produktion dauert aber noch ein Weilchen. Also bitte Geduld haben!

Coimbra

Wir rollten weiter, durch das herrliche Flusstal des Rio Avo und schließlich in die „Studentenmetropole“ Coimbra. Die steinalte und UNESCO-Erbe Universität thront über allem, darunter, kleinste und steilste, massiv verwinkelte Gässchen. Am Fuße der Stadt zwei proppenvolle Straßen mit Fußgängerzone. Wir radelten vom Campingplatz, der gut 5 Kilometer außerhalb gelegen ist, in die Stadt. In den Randbezirken massenweise leerstehende, halbfertige Hochhäuser! Was ist da wieder Geld versenkt worden?! Zur EM 2004 wurde extra ein Fußball-Stadion gebaut! Laufen da heute die Provinzkicker von Coimbra drin rum? Man weiß es nicht. Man weiß nur: Immobilienblasen sind nicht gut. Stahl, Beton, Geld – alles wird in Massen versenkt. Es bleiben: Schandflecke und Zeugen einer gierigen, maßlosen und wohl auch korrupten Welt.

Nach den windigen und regnerischen Tagen stabilisierte sich das Wetter wieder und wir düsten gleich weiter, schenkten Coimbra nicht mehr den genaueren, zweiten Blick. Irgendwie war uns aber nicht nach einem weiteren Pausentag in einer Stadt.

Zum Meer

Mit Rückenwind rollten wir auf frisch geteerten Straßen am Fluß entlang bis Figueira da Foz. Der Atlantik war erreicht. Gebührend gefeiert wurde dies mit einem großen Teller gegrillter Sardinen und prickelndem, eiskalten Weißwein. Die Sommertouristen waren schon weg und eine beschauliche Ruhe kehrte dort ein. Die Sonne war aber noch da. Uns gefiel das! Im Sommer soll der Sand der Strände unsichtbar sein. Handtuch an Handtuch. Die vielen Hochhäuser, die allesamt stramm in vorderster Front stehen und sicher wieder Heerscharen schnarchender Touristen ertragen mussten, haben nun ihre plastifizierten Lider geschlossen.


Die nächste massive Regenfront mit scharfen Winden kündigte sich an und so nahmen wir den Zug nach Sao Martinho do Porto. Ein kleines Fischerdorf in einer wunderschönen halbkreisförmigen Bucht.


Auch hier: Saison beendet. Der Campingplatz hatte noch offen, Dutzende Angestellte umsorgten uns beim Check-in und öffneten jedesmal die manuell bedienbare Schranke, wenn wir mit den Rädern anrollten. Die Löhne in Portugal können nicht wirklich hoch sein, ein solcher Personalaufwand wäre sonst kaum möglich.
Ein paar Kneipen waren auch noch auf, wieder mal Livemusik. Ein junger Portugiese coverte alte und neue Rocksongs. Und das nur mit seiner wirklich guten Stimme und einem forschen und ausgezeichneten Gitarrenspiel. Respekt. Der war gut. Der Konzertbeginn, wie immer in Portugal, sehr spät: 23:45 Uhr. Wir blieben bis 2 Uhr morgens. Für den nächsten Tag hatten wir uns lediglich eine weitere Zugfahrt vorgenommen. Direkt hinein ins Herz der Hauptstadt Lissabon. Gunnar, ein Freund der Freundin, lebt hier und signalisierte uns die Bereitschaft, uns für ein paar Tage zu beherbergen. Wir nahmen gerne an. Wenn man lange reist, ist es immer schön, von Zeit zu Zeit für eine Weile „sesshaft“ zu werden. Und natürlich muss auch die Weiterreise geplant werden. Und hier hat sich in den letzten Tagen Erstaunliches ereignet. Wir werden Europa Mitte November verlassen und in warmen Gefilden in den Winter starten: per Schiff geht‘s nach Dubai, dann weiter in den Oman. Wie es dazu kam und wie wir da genau hinkommen – wir werden‘s euch erklären.

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