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Zeitsprung

von sabbatradler
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22.02.2010 (k) – Lufeng – Anning: 86km, 950Hm

Mal wieder muss man mit dem Frühstück beginnen. Nur, um dem vernichtenden Pauschalurteil, das dem chinesischen Hotelfrühstück im Allgemeinen vorauseilt, entgegenzuwirken. Hier empfängt uns ein warm-kaltes Büffet mit allerlei süßen und salzigen Dingen sowie eine Suppenecke, wo man nach Herzenslust wie auf der Straße seine Wunschnudeln und Soßen wählen kann. Sogar heißen Nescafé gibt es. Lufeng sehen wir nun also wirklich nur im Durchrollen – doch es wirkt aufgeräumt, ruhig und angenehm. Noch scheint die Sonne, doch als wir oberhalb der Stadt in der Steigung an einer wild um sich schlotenden Fabrik vorbeistrampeln, verdüstert sich der Himmel. Wir sind langsam in der Steigung und bekommen so mit, wie das Tal unter uns mit einer dicken Smogglocke überzogen wird. Es ist ein weites Tal, in etwa so, wie wenn in Schöllang eine Fabrik stünde, die das gesamte Tal zwischen Oberstdorf und Immenstadt versmogt. Man merkt die Abgase sogar in der Lunge, die etwas brennt, so als ginge man bei starken Minusgraden Langlaufen und atme den Rauch der mit Holz heizenden Häuser ein. Als wir hoch genug sind, wird die Luft wieder frischer, doch die Menschen im Tal und in den Dörfern bekommen davon nichts mit. Es ist nur eine kleine Fabrik und wir wissen gar nicht, wozu sie dient, doch in solchen Momenten bekommt man eine leise Ahnung davon, wie es wohl im Osten Chinas in dementsprechenden Gebieten sein wird, wo sich eine Fabrik an die andere reiht. Auf unserer kleinen Straße, die wir uns für heute zurechtgelegt haben herrscht kaum Verkehr. Wir überfahren eine Hochebene, die schöne Ausblicke liefert, aber leider mit zahlreichen Hochspannungsleitungen durchzogen ist. Doch irgendwo muss ja auch der Strom durch. Unsere Straße trifft im Tal auf eine Nord-Süd-Achse und so biegen wir nach Süden ein, ebenso, wie es die Bahnlinie hier macht. Neben dieser und uns ist auf beiden Seiten noch genügend Platz für landwirtschaftliche Nutzung, bevor die Hänge der Gebirgszüge steil aufragen. Auf den ersten Blick scheinen wir mit vielen LKW auch noch auf einem Baustellenstück gelandet zu sein, doch nach wenigen Kilometern haben wir wieder Teer unter den Rädern und auch der Verkehr erweist sich als halb so schlimm. Eine Aufbrühsuppe zwischen Rapsfeldern gibt uns Kraft, um gegen den Gegenwind anzukämpfen, der uns erst wieder in Ruhe lässt, als wir uns, zurück auf der Achse Dali-Kunming, wieder nach Osten wenden. An dieser Stelle tauschen wir ihn aber ungern gegen ein schlimmeres Übel. Die letzten 20 Kilometer bis Anning sind ausnahmsweise einmal kein Radspaß. Die Straße ist nicht gut ausgebaut, holperig und es rollt ein LKW hinter dem anderen. Sie fahren zwar nicht schnell und gefährlich, doch sie dieseln uns in den Steigungen ein, lassen den Wind ihren Sand in unsere Augen tragen und betäuben unsere Ohren. Die Aussicht auf zahlreiche Fabrikgebäude, auf Müllschlangen in den Straßengräben und auf Bäume und Pflanzen, die – wohl zum Schutz – in schwarze Tücher gehüllt sind, komplettiert das trostlose Bild. So rollen wir bis nach Anning hinein, eine Großstadt vor den Türen Kunmings. Innerhalb von 180 Kilometern haben wir auch eine Zeitreise von 180 Jahren begangen: vom vorindustriellen Pferdekutschenzeitalter mitten hinein in die Industrielle Revolution. Mit Erreichen des Stadtzentrums ist von all dem nichts mehr zu merken – wir haben den Zeitsprung in die Moderne geschafft. Neubauten, Mülleimer, Straßenfeger, Boutiquen, Parks, Nobelkarossen, Hotels und Restaurants. Wir finden zufällig den Weg in den oberen Stock eines solchen. Tischdeckchen, weiche Stühle und Bänke, schummeriges Licht, leise Hintergrundmusik, Pflanzen und eine Speisekarte, die von Kaffee und Tee über Cocktails und Bier, von Pommes Frites über Hotpot bis zu spaghettiähnlichen Nudeln mit pfeffriger Fleischsoße reicht. „Fusionfood“ nennt sich das glaube ich, in der modernen Gastronomiesprache. Um uns herum die Tische voller hipper, meist junger Chinesen und Chinesinnen. Das wirkt wie ein Blick in die Zukunft – nicht mehr alle Chinesen mögen es heiß, laut und „dreckig“.

22Feb2010

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