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Entspannung

von sabbatradler
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22.05.2010 (k) Kuancheng – Pingquan: 62 km, 400 Hm

Es ist gar nicht so leicht, eine Nudelbudel für das Frühstück zu finden. Wahrscheinlich sind wir mal wieder in die falsche Richtung gefahren. Außerdem sind Restaurants und Krämerläden in dieser Region nicht so leicht zu erkennen, wie sonst wo. In den dunklen, garagenartigen Geschäften brennt kein Licht und die Eingänge sind mit dicken Plastikvorhängen verhängt. Man muss schon langsam fahren und ganz genau hinsehen, um etwas zu erspähen. Oder natürlich lesen können. Wir chinesische Analphabeten fragen letztlich Passanten nach einer Nudelstation und man weist uns den Weg. Vier Frauen sind nicht so sehr erfreut über unseren Besuch und wollen uns zuerst Baozi andrehen, doch wir möchten Nudeln. Wahrscheinlich liegt es daran, dass sie sich gerade den Tisch mit Teigtaschen, Fladen und Suppe vollgeladen haben, um selbst zu essen. Allerdings betrifft unsere Bestellung sie gar nicht, denn sie wird vom Mann des Hauses ausgeführt, der sich zwar dafür ungewöhnlich lange Zeit lässt, doch letztlich eine gute Portion Nudelsuppe auf den Tisch bringt. Aus der Stadt hinaus führt uns eine Nebenstraße, sie mündet aber nach einigen Kilometern in die Hauptstraße, wo wir von weitem schon wieder die LKW donnern hören. Doch halt, was ist das? Die Straße ist vierspurig mit großem Seitenstreifen – hier lässt es sich wesentlich beruhigter dahinstrampeln als gestern. Wenn man eine eigene Spur hat, ist es fast egal, was sich auf den anderen so bewegt. Bis auf den Lärm. Doch so viele Autos wie gestern sind es sowieso nicht. Also weniger Autos und mehr Platz – das klingt nach Entspannung. Da bekommt man plötzlich wieder einen Blick für die Landschaft. Es ist zwar sehr diesig, doch die spitzen, grünen Berge auf beiden Seiten des nicht allzu engen Flusstales verdienen das Prädikat reizvoll. Erinnert fast ein wenig an Südostasien. Auch die Hitze passt dazu. Um 10.00 Uhr hat es schon gut 30 Grad, doch die Luft ist trocken. Der Wind bläst angenehm von hinten. Wir rollen so geschwind und entspannt über die hervorragende Straße, dass wir nur selten stehen bleiben. Einmal wartet ein LKW auf uns. Die Fahrer schenken uns Wasser und machen Fotos mit uns. Einmal wählen wir eine kurze Alternative durch einen Ort, der aber nicht so einladend wirkt. Mancher ist um die frühe Uhrzeit schon vom Alkohol gezeichnet. Ein längerer Tunnel bleibt uns durch diese Umfahrung aber erspart, was man immer ausnutzen sollte, denn im Tunnel ist man als Radfahrer ein besonders kleiner Wurm. Mittags erreichen wir schon unser Ziel, die Stadt Pingquan. Da sie ein wenig größer ist als die beiden Städtchen der vergangenen Tage hoffen wir, mit der Hotelsuche mehr Glück zu haben. Und so ist es. Gleich das erste Hotel, das wir sehen, nimmt uns auf. Es ist so nagelneu, dass die Internetleitung, die aus der Wand kommt, noch tot ist. Doch wir haben auch kein Internetbedürfnis. Der Preis entspricht mit 160 Yuan (knapp 20 Euro) genau unserer Vorstellung und die Belegschaft ist ausgesprochen freundlich und hilfsbereit. Hat jemand gesagt, im Osten gäbe es nichts Neues? Ein Abendspaziergang führt uns hinaus in die Stadt. Der erste Eindruck ist sehr positiv, eine Kleinstadt, in der sich die Bewohner wohlfühlen, so scheint es. In der Mitte findet sich eine dreistraßige Fußgängerzone, in der sich eine Boutique an die nächste reiht. Dahinter liegt der Stadtplatz. Wir setzen uns auf eine Stufe und sehen dem Treiben der Menschen zu, die hier mit ihren Kindern spielen. Schnell sind wir umringt von einer Gruppe Jugendlicher. Mit ein paar Brocken Englisch, ebensovielen Chinesisch und ganz viel Gelächter ist nach einer halben Stunde alles Nötige erzählt. Wir ziehen weiter. Eine Straße voller kleiner Restaurants stellt uns vor die Qual der Wahl. Sehr viel Hunger haben wir nicht, weil ich mich entschlossen hatte, die 300g Makkaronipackung und die Arrabiatasauce aus Japan nicht weiter durch China zu fahren (ohne Campinggas, versteht sich) und wir die Pasta vor zwei Stunden im Wasserkocher gekocht haben (was übrigens hervorragend funktionierte). Wir entscheiden uns für zwei Teller Gemüse und einen Teller Jiaozi. Die Bestellung der Teigtaschen ist mal wieder nicht ganz einfach, wir scheinen in einen Fachhandel gekommen zu sein. Auf meine Frage nach vegetarischer Füllung ergießt sich ein Wortschwall, dem ich nichts mehr entgegensetzen kann. Vielleicht kann sie einfach nur 10 vegetarische Jiaozi machen? Wortschwall, Fragen, Alternativen. Ein erneuter Anlauf meinerseits folgt: „Habt ihr Jiaozi ohne Fleisch?“, „Ja“, „Könnten wir 10 bekommen?“ „Nein, die Mindestmenge ist 24“, „Na gut, dann eben 24“ (das wird schon reichen, wir haben eh nicht so viel Hunger!). Keine Frage, dass unsere drei Platten leergefegt sind, als wir das Lokal verlassen. Auf der „Piazza“ ist mittlerweile die Hölle los. Es scheint, als wäre die komplette Stadt zusammengekommen, um sich zu amüsieren. Kinder fahren Roller, Inliner und Skateboard, Jugendliche hängen herum und lachen sich schief, Reifere und Alte machen Tai Chi oder finden sich in einer der vielen Tanzgruppen. Es gibt drei traditionelle Gruppen, die mit Einheitskostümen und bunten Fächern eine Art Marschierzeremonie zu einer ursprünglichen Musik darbieten, die ungefähr so klingt, als gäbe ich in der Schule zweimal Becken, eine große Trommel, eine Tröte und noch irgendeinen Krachmacher an die Schüler raus und wartete ab, was passiert. Die moderne Gruppe übt sich in einer Art Hip Hop Aerobic und die aufgeschlossenen, eleganten (natürlich nur) Frauen versuchen ihre Hüften der Salsa-Vortänzerin hinterherzuschwingen und dabei die Schrittfolge nicht aus den Augen zu verlieren. Wir sind ganz fasziniert von der puren Lebenslust, die sich hier zeigt. Nach dem harten, kalten Winter scheinen alle wieder aufgetaut zu sein und sich darüber zu freuen.

22Mai2010

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