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Far north

von sabbatradler
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Von Memmingen aus fliegt man in nicht einmal zwei Stunden direkt nach Edinburgh. Praktisch. Zumindest für diejenigen, die dieses Verkehrsmittel denn auch nutzen. Und für die anderen? Für uns zum Beispiel? Für die beginnt die Reise zum Beispiel am Bahnhof in Sonthofen. Wie so oft. Seit wir die „Tranz-Bags“ für unsere Bikes haben, ist das Zugfahren noch viel entspannter geworden. Schnell verschwinden die Fahrräder in den Taschen und finden vorbei an launischen Schaffnern und sperrigen Koffern den Weg ins Innere eines jeden Zugtyps. So auch an diesem Sonntag um 10:13 Uhr in den IC nach Düsseldorf.
Viele Zuggegner argumentieren gerne, dass Züge laut, überfüllt und heiß sind. Wir haben das schon oft anders erlebt, heute müssen wir ihnen recht geben. Es ist laut, überfüllt und heiß. Immerhin aber haben wir einen reservierten Platz, was die siebenstündige Fahrt doch erträglicher macht.
So freuen wir uns über die frische Luft auf dem Weg zum Düsselcamp in Lörick. Auch die umherwabernden, dunklen Wolken und der ein oder andere Schauer schrecken uns nicht. Im Gegenteil. Wir wollen doch auf die königliche Insel und wer da über Regenschauer klagt, der kann wohl gleich wieder umkehren.
Während andere Radreisende, die, obwohl jünger, z.B. mit E-Bikes den Rhein entlang fahren, schon in ihr Zelt schlüpfen, brechen wir gleich nochmal auf in die Stadt. Immer wieder werden wir von Regenschauern begleitet, der Radweg in die City verläuft jedoch viel unter dem Schutz von Bäumen. Die Anziehungskraft der TanTan-Mien im original japanischen Nudelrestaurant ist aber mindestens ebenso stark, wie die Hoffnung auf ein paar kühle Alt in einer gemütlichen Kneipe, dem „Schaukelstühlchen“, im Herzen der Altstadt. Bei meinem Besuch in Düsseldorf im letzten Jahr hatte ich die Lokale schon erkundet und genossen und Katrin dem entsprechend vorgeschwärmt.

Bereits um 6 Uhr klingelt unser Wecker, um 8:13 Uhr soll unsere Reise fortgesetzt werden. Diesmal über Venlo bis nach Hoek van Holland, dem großen Hafen bei Rotterdam, von dem aus die Fähren Richtung Insel starten.
Ein erster Schock: Während Katrin in der Bahnhofsgegend das Frühstück organisiert, stelle ich beim routinemäßigen Handy-Check fest, dass unser Zug bereits um 7:48 Uhr geht. Ups. Leichte Panik bricht aus, es bleiben nurmehr 20 Minuten und Katrin ist nirgends zu sehen. Hastig packe ich schon mal die ersten Sachen ein, da schlendert sie gemütlich über den Vorplatz. Meine hektischen Bewegungen versteht sie zunächst nicht zu deuten, irgendwann merkt sie aber dann, dass sie sich wohl beeilen soll. So oft schon haben wir unsere Bikes in die Räder gepackt, es geht doch mal wieder schneller als gedacht und wir haben am Bahnsteig sogar noch so viel Zeit, dass ich eine weitere Frühstücks-Zugabe besorgen kann.
In Venlo soll der IC nach Hoek v. Holland vom selben Gleis abfahren, auf dem wir ankommen. Endlich mal kein Geschleppe! Das holländische ge-„chrrk“e kann ich nicht wiedergeben, dafür die sinngemäße Übersetzung: „Der IC fährt heute auf Gleis 3.“ Vielen Dank. Haben eh schon lange kein Krafttraining mehr gemacht. Erschöpft lassen wir uns auf den Zugsesseln nieder, als die nächste Info für Stimmung sorgt. Personenschaden auf der Strecke, der Zug endet in ca. 30 Minuten. Und jetzt? Der Schaffner erklärt uns das Vorgehen, wenn wir nach Hoek wollen: in Eindhoven aussteigen, weiter nach Utrecht, von dort nach Rotterdam und in den Regionalzug nach Hoek. Ganz einfach. Hm ja, schon. Leider müssen wir bei dieser Variante statt gar nicht, dreimal umsteigen. Dass die ganzen anderen Züge aufgrund der Sperrung überfüllt sind, müsste ich nicht extra erwähnen. Wären unsere Räder nicht in den Taschen, wir hätten wohl keinen der Züge nehmen können. So aber sind wir, nach einem heftigen Bahnsteig-Sprint mit ca.40kg Trage-Gepäck in Rotterdam, ohne Verspätung am Hafen. Der Check-in klappt reibungslos. Mal abgesehen von dem kleinen Detail, dass wir als Fußgänger einchecken und unser gesamtes Gepäck die endlosen Gänge zur Gangway tragen müssen. Wenigstens die Räder können wir als Gepäck aufgeben.
Die Tagüberfahrt nach Harwich auf der Stenaline ist dadurch gekennzeichnet, dass niemand eine Kabine buchen muss und folglich alle in den Lounge- und Restaurant-Bereichen abhängen. Jeder versucht also auf seine Weise, sich die siebenstündige Überfahrt so angenehm wie möglich zu gestalten, was insgesamt aber zu einem relativ hohen Lärmpegel bei gleichzeitigem Platzmangel führt. Mit meinem Campingsitz verziehe ich mich in eine sehr ruhige, dafür klimaanlagenunterkühlte Nische nahe der Aufgänge zu den Kabinen. Katrin ist fast die ganze Zeit über an Deck. Mir wäre es da zu stürmisch. Wenigstens bleibt allen Passagieren ein ordentlicher Seegang erspart, so dass die Toiletten nur nach Urin, nicht aber nach Erbrochenem stinken. Ansonsten ist das Schiff aber in einem sehr guten Zustand und für das Wohl der Reisenden ist bestens gesorgt. Die Preise sind sehr fair uns so finden wir uns während der Überfahrt mal vor einem Teller Pommes, einem indischen Curry und auch mal mit einer Flasche Rotwein in der Hand wieder.
Time flies und wir drücken der strengen Dame vom Immigration-Office unsere Ausweise in die Hand. Offenbar liegt nichts gegen uns vor, da wir unbehelligt einreisen dürfen.
Während wir durch die Fenster die anderen Reiseradler vom Schiff rollen sehen, warten wir bei der Gepäckannahme darauf, dass irgendwer die verklemmte Tür zum Gepäckraum wieder öffnen kann. Letztlich sind bereits alle weg, als wir unsere Fahrräder montiert haben und der Security-Manager löscht nach uns das Licht in der Halle. Unterdessen ist es also dunkel geworden und ein kräftiger Regenschauer empfängt uns in Harwich. Nun ja. Netterweise hört es aber gleich wieder auf zu regnen. In der Nähe des Campingplatzes finden wir noch einen chinesischen Takeaway. Ein paar Fleischbrocken in würziger Sauce und Reis schmecken zwar nicht wie in China, dafür aber trotzdem annehmbar und vor allem sind wir danach satt.
Der Campingplatz ist insofern eine Erwähnung wert, da wir so etwas noch nie gesehen haben. Das Office ist bereit geschlossen und so suchen wir uns zwischen riesig wirkenden Mobile-Homes, die durchweg sämtliche Stilmittel des Kitsches bedienen, einen Stellplatz für unser Zelt. Der ganze Platz ist stockdunkel, bis auf die paar erleuchteten Fenster von bewohnten Wägen. Die Toilette finden wir alleine nicht und so müssen uns die Jungs einer britischen Urlauberfamilie den Weg zeigen, der schließlich bei zwei ausrangierten Homes endet, deren leicht abgenutzte Waschräume (stelle man sich wie in einem Wohnmobil vor) als „public toilets“ dienen. Egal, wir wollen ja nicht drin übernachten.
Der nächste Tag bringt einen kurzen Fahrradtripp entlang der Küstenlinie in die Innenstadt von Harwich, wo wir leckeres Gebäck und einen übergroßen Milchkaffee (die Größe wir hier übrigens „regular“ genannt) zum Frühstück genießen. Eine Regionallinie der Eisenbahn bringt uns über Manningtree und Ipswich nach Cambridge. Von hier aus wollen wir eine Etappe in Richtung Peterborough radeln, von wo aus morgen unser Zug nach Edinburgh startet. Cambridge statten wir einen kurzen Besuch ab. Wir stellen fest, dass es ein sehr schönes Zentrum zu bieten hat und sich zahlreiche Bauwerke aus hellem Stein äußerst attraktiv vor dem grauen Himmel abzeichnen. So sehen das wohl auch gefühlte 3 Millionen Touristen, die hier durch die Gassen schieben uns sich auf kleinen Kanälen vor den Universitäts- und College-Gebäuden entlangschippern lassen. Einen kurzen Einblick haben wir erhalten – sehr sehenswert, aber nicht in dieser Jahreszeit. Kaum lassen wir die Stadt hinter uns, schon nimmt der Verkehr merklich zu und eine ordentliche Brise bläst uns ins Gesicht. Ein paar schnurgerade Radwege und viel plattes Land führen uns nach St.Ives. Kaffeepause. Dabei spricht uns ein Mann, der sich als Martin vorstellt, an. Wir plaudern ein bisschen über’s Reiseradeln und dann empfiehlt er uns einen Campingplatz gleich um die Ecke. Lovley, amazing, worth a visit. Ok. Wir sind überzeugt. Kurze Zeit später drücken wir die Heringe in den bestens gepflegten englischen Rasen und lehnen anschließend uns zurück. Eine alte Mühle thront im Hintergrund, ein Bächlein plätschert vorbei. Indeed lovely!
Heute, am 14.08., radeln wir bei strahlendem Sonnenschein die paar Kilometer ins benachbarte Huntingdon, wo ins die Bahn in 15 Minuten nach Peterborough bringt. Die örtliche Kathedrale ist weltberühmt – zu Recht! Details zum Bauwerk entnimmt der geneigte Leser bitte dem Eintrag von Wikipedia: Stichwort „Kathedrale Peterborough“.
Zur Mittagszeit besteigen wir dann den Schnellzug nach Edinburgh. In gut zwei Stunden, also um 17:22 Uhr sollen wir unsere Ziel erreicht haben. Genau drei Tage, 7 Stunden und 9 Minuten nachdem wir in Sonthofen gestartet sind. Dazwischen waren wir in Deutschland, Holland, auf der Nordsee und in England.
Wären wir geflogen, hätte hier gestanden:
Nach einem ruhigen, zweistündigen Flug, sind wir hier in Edinburgh gelandet.

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