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Zehn Stunden Holzklasse

von sabbatradler
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15.09.2009 (m) – 5:30 Uhr, stockdunkel, kein Mensch weit und breit. Zwei deutsche Radler biegen aus der Hoteleinfahrt auf die Hauptstraße. Die Luft ist kühl und frisch. Mit kräftigen Tritten eilen die beiden zielstrebig zum Bahnhof der Stadt Hami. Vorbei an einigen Frauen mit Mundschutz, die im Scheinwerferlicht ihrer Stände schon das Frühstück für die in den nächsten Minuten und Stunden erwachende Stadt bereiten – unschwer zu erkennen an den dampfenden Bambuskörben.

Geschwind verpacken wir die Räder (in die wieder einmal äußerst hilfreichen Bike-Taschen) und marschieren durch die erste Polizeikontrolle. Müde sitzt der Beamte in seinem Stuhl, das Gewehr locker auf dem Schoß – er rührt sich nicht. Auch die nächste Hürde, den Gepäckdurchleuchtungsautomaten (bekannt von allen Flughäfen dieser Welt), meistern wir mit Bravour. Sogar die Räder passen durch! „1044 6:42 Uhr, Platform 3 now checking“, das sind wir. Ticketkontrolle, Treppe runter, Gang vor, Treppe rauf und wir finden uns auf dem Bahnsteig wieder. Wagen 15 soll der unsere sein. Na, mal sehen, ist ja eh noch kein Zug am Gleis. Doch schon bald zeigen sich in der Ferne zwei Scheinwerfer, die unsere müden und nun an die Dunkelheit gewöhnten Augen auf eine harte Probe stellen. Immer näher rücken sie, bis schließlich das Scheppern, Grummeln, Rattern und Schnaufen des Zuges hörbar wir und das Gefährt schließlich zum Stillstand kommt. Wir stehen genau an Wagen Nummer drei. Also, in alter Manier, Katrin beide Radtaschen und Rucksack, ich Rucksack und alle vier Gepäcktaschen. Puls 180, und das vor 7 Uhr. Schweißgebadet erreichen wir den richtigen Wagen und der strenge Herr Schaffner lässt uns sogar einsteigen. Drinnen – rammelvoll, der Zug kommt aus Ürumqi, die Passagiere haben also schon eine Nacht auf den engen und harten Bänken hinter sich. Wir werfen erst mal alles in den Gang und stellen uns in den Vorraum, wo die Luft etwas besser ist. Bald schon kommt der Schaffner und weist uns unsere Plätze zu und verstaut geschäftig alle Taschen in den Ablagefächern, die eigentlich schon voll schienen…tja und mit den Rädern ist er so gar nicht zufrieden. Die müssten da weg. Da könnte ja jeder. Die zähneputzenden, schnäutzenden und spuckenden Menschen beobachten alles von teilnahmslos über neugierig bis höchst amüsiert. Der Schaffner besteht also darauf, die Räder irgendwie unter die Bänke zu stopfen, wir versuchen ihm verzweifelt klar zu machen, dass es für die diese nicht eben günstig ist, wenn auf ihnen zahlreiche Chinesenfüße rumtrampeln. Nach einigem hin- und her wird ein Kompromiss geschlossen: Katrins Fahrrad, weil kleiner, wird unter eine Bank geschoben, so dass nichts übersteht, mein Rad kommt drei Waggons weiter hinter eine kleine Theke (so ähnlich wie die Bar im ALEX-Bistro).

Als die Sonne aufgeht, ertönt aus den Lautsprechern chinesische Musik, alles dehnt, reckt und streckt sich und die ersten Becher Fertigsuppe werden mit heißem Wasser überbrüht. Gute Idee. Glücklicherweise springt ungefähr alle 20 Minuten eine beschürzte Dame (viel netter als die Verkäufer im ALEX) mit einem kleinen Wägelchen durch die Gänge und versucht fertig gekochtes aus dem Speisewagen bzw. Getränke, Nüsse, Fertigsuppen o.Ä. an den Mann zu bringen. Hier greifen wir auch zu und zapfen aus dem Wasserwagen selbiges in kochender Form ab und reihen uns so unter die schlürfenden Chinesen um uns herum ein. Ja, man sitzt, der Zug fährt, man schaut aus dem Fenster – aber zehn Stunden sind halt zehn Stunden. Es ist unglaublich, wie schnell man in einer so engen Atmosphäre versifft. Es sei allerdings auch betont, dass es sehr gesittet zugeht. Klar spuckt ab und an einer auf den Boden, doch die Leute benutzen ansonsten die Waschbecken und werfen ihren Müll auch in den Eimer. Das Zugpersonal fegt regelmäßig durch, wischt – wenn auch mit einem etwas zweifelhaften Wischmopp – und desinfiziert immer wieder Mülleimer und Waschbereiche. So pendeln wir zwischen essen, trinken, lesen und im Vorraum – leider auch Rauchraum – stehen und aus dem Fenster schauen. Und irgendwann sind wir dann auch da – in Zhangye, an der Seidenstraße in der Provinz Gansu.

Unter den staunenden Augen der Mitreisenden entschlüpfen den Taschen zwei wunderschön Räder, die bereitwillig die Packtaschen aufnehmen. Und noch ehe der Zug den Bahnhof wieder verlässt laufen wir lachend und winkend den Bahnsteig entlang Richtung Ausgang.

Gute acht Kilometer und drei Hotelbesichtigungen später stehen wir unter der lauwarmen Dusche und hübschen uns für das Abendessen auf, das in der hiesigen Restaurantstraße, gut eine Fahrradminute vom Hotel entfernt, in einem kleinen Restaurant, das von einem ganz jungen und engagierten Team geführt wird, eingenommen wird. Zwei „Snow“-Bier spülen die äußerst schmackhaften Gerichte und den Reis in den schon etwas ungeduldigen Magen hinab.

Es ist dunkel, die Straßen leeren sich, als zwei deutsche Radler ihre Räder in zwei Taschen verschwinden lassen und gegen 21:30 Uhr im Zimmer 312 verschwinden.

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