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Die Mission startet

von sabbatradler
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Etwa 1600 Kilometer und 16 000 Höhenmeter haben wir unterdessen seit unserem Start am 10. Mai in Lissabon zurückgelegt. Lange war ja nicht klar, ob und wie das Radfahren nach meiner Knieverletzung überhaupt klappt. So haben wir uns für die Fahrtage weniger vorgenommen, nurmehr kleinere Etappen, möglichst keine zu heftigen Anstiege. Katrin trägt mehr Gepäcklast. Wir starten – wieder mal – an Gunnars Laden in Lissabon und sind trotz der Vorfreude auch – wieder mal – ein bisschen taurig.

Fast zwei Wochen haben wir mit Gunnar wieder mal in Murches WG-artig gewohnt und es war wunderbar – kochen, schnacken, Fußball schauen, Strand, Knie-Training auf unserer „Hausrunde“ und „meja de leite“ im Panisol! Daneben habe ich auch noch Zeit ein bisschen an Gunnis Firmen-IT zu basteln. Alle sind danach zufrieden :)

Dennoch, wir haben eine Mission und die soll uns nur mit unseren eigenen Pedaltritten direkt aus Lissabon heraus bis vor unsere Haustüre im Allgäu führen. Nicht den direktesten Weg wollen wir wählen, den schönsten, den mit den wenigsten Autos, einfach den freudvollsten Rad-Kilometern.

Und so sind auf mapy.cz wieder mal die „weißen“ Straßen, die Caminos und Via Verdes die Wege, an denen wir uns orientieren. Auch eine „Sierra“ verheißt meist schöne, einsame und hügelige bis bergige Strecken. Genau das, was wir wollen!

Zunächst halten wir uns an die Ecovia Lissabon – Badajoz, eine Verbindung ziemlich direkt von West nach Ost. Zweimal sind wir das ja – gezwungenermaßen – mit dem Zug gefahren. Fast immer sind diese großen Routen für uns nur Anhaltspunkte, die eine grobe Richtung vorgeben. In der Regel bauen wir uns die Strecken dann selbst zusammen. Es fühlt sich so gut an, wieder im Sattel zu sitzen. Nach so langer Zwangspause trüben auch frühsommerliche Hitze und holprige Damm-Wege die Freude erstmal nicht.

Der Caminho Portuges Central führt uns zunächst am Tejo entlang bis Vila France de Xira, wo wir endlich mal wieder im Zelt schlafen können. Leider fetzt der Wind die ganze nach an der Plane und wir kommen nicht so richtig perfekt zur Ruhe. Immerhin können wir aber vom original indischen Abendessen am Ort träumen, das wir am Vorabend genießen konnten. Der Besitzer war vorher Anwalt in Indien und ist nun mit seiner Frau, die alle Currys zu Hause vorbereitet und kocht, hier gelandet. Seine flinken Köche vor Ort richten alles fein an und zaubern Chapatis, Rotis und Parathas.

Die fette Autobrücke nach Osten schreckt uns dann am nächsten Morgen doch zu sehr, so dass wir dem Caminho noch weitere 20 Kilometer folgen und die gemütlichere Brücke bei Muge nutzen. Bis dahin müssen wir öfter die Gleise überqueren, was nur an Bahn-ÜBER-Gängen von Bahnhöfen geht. Mal funktioniert ein Aufzug, knapp groß genug, mal heißt es schleppen. Über ruhige Nebenstraßen landen wir nachmittags in Coruche.

Ab Coruche wagen wir uns so richtig auf die Ecovia und erfahren schnell, was nicht asphaltierte Straßen in dieser Region Portugals bedeuten. Sandige bis sehr sandige Böden! Erst noch fahrbar, später nur noch schiebbar. Zehn Kilometer können so schon sehr lange werden.

Zu allem Überfluss bricht Katrin beim Schieben des Rades durch eine kleine Mulde (Pinkelpause) noch eine tragende Schraube am Gepäckträger bündig ab. Kabelbinder sind glücklicherweise an Bord. Krass, was die so aushalten! So ist die Weiterfahrt bis Badajoz erst mal gesichert, wo wir auf Fahrradläden mit fachkundigem Personal hoffen.

Der stramme Wind (glücklicherweise von hinten) und die nicht allzu hohen Temperaturen – zum Radeln genial, für den Abend am Zelt ein bisschen ungemütlich – lassen uns häufiger als geplant auf die Option „Zimmer“ zurückgreifen. In der Vorsaison ist das doch noch recht erschwinglich und die Unterkünfte sind immer wieder auch sehr besonders und strotzen vor langer Geschichte. In Brotas zum Beispiel beziehen wir ein ganzes Haus im Dorf. Die Vermieterin scheint einige dieser „blauen“ Häuser zu betreuen. Sie erzählt uns, dass in der Straße zur Kirche nur noch 23 Leute leben, alles Alte, die nach und nach wegsterben. Keiner kommt nach. Diese Häuser werden dann teilweise zu Appartements umgebaut. Ein bisschen wie Monopoly irgendwie.

Unsere Ecovia-Ambitionen in der nicht geteerten Variante werden nach diesem Tag erst mal geringer und das windige und abends schnell kühle Wetter ermutigt uns außerdem die anvisierten Campingplätze nicht anzusteuern. Wir finden stets preisgünstige Unterkünfte, die sich in den für uns passenden Etappenlängen (50-70 Kilometer, max. 500 – 700 Höhenmeter) und auf kleinen Nebenstraßen erreichen lassen. Portugals Autofahrer sind gerne zügig unterwegs und nehmen es mit den Überholabständen nicht so genau. Insofern sind größere Straßen für uns in diesem Land tabu!

Über Casa Branca, Sousel, Estremoz, Borba, Vila Viciosa und Elvas erreichen wir in weiteren vier Etappen das uns unterdessen sehr gut bekannte Badajoz.

Im kleinen Vila Viciosa schlafen wir in einem ZImmer in einem altehrwürdigen Anwesen. Das Haus wurde als nobles Bürgerhaus im 16. Jahrhundert gebaut und vom damaligen Duce 1602 dem Jesuitenorden überlassen, der darin auch Unterricht und Religionslehre betrieb. Innenhof, Kirche und Wohngebäude bildeten das Ensemble. Die Jesuiten zogen irgendwann aus, da das Ganze zu klein wurde. In den 1930er Jahren war das Haus dann Zuflucht für einen kleinen Frauenorden, der mit seinen Schülerinnen aus Cadíz fliehen musste. Die Nonnen kehrten nach dem spanischen Bürgerkrieg nach Spanien zurück und unterrichten nach wie vor in Oporto und Lissabon. 1946 kaufte dann ein Paar das Haus und baute es zu einem Wohnkomplex für die Familie um. Die Tochter – heute geschätzt gut in den 70ern – begrüßt uns in fließendem British English. Sie hat eine bürgerliche Bildung genosse, zeitweise auch in United Kingdom. Im Gegensatz zu ihrer 18-jährigen Angestellten, die kaum eine englisches Wort herausbringt. Die Old Lady zeigt uns das ganze Anwesen und erzählt dazu die Geschichte des Hauses.

Ihr Vater war ein Bergbauingenieur. In Vila Viciosa und der Umgebung gibt es über 200 Marmorsteinbrüche. Auf dem Weg hierher über Estremoz haben wir das schon bemerkt und einen beinahe durchquert. Erst dachten wir, es handelt sich um eine historische Sache, aber die großen aufgetürmten Steinquader und die Sägeanlagen sprechen eine andere Sprache. Es gibt hier viele neuere Steinbrüche, deren Abraumhalden man von Weitem erblicken kann und der Marmor wird in die ganze Welt exportiert.

Der Bergbauingenieur jedenfalls, beruflich auf der ganzen Welt unterwegs, konnte sich für die Welt des Marmors und für den Marmor der Welt begeistern, und obwohl es hier genügend edlen Stein gegeben hätte (in Weißtönen und Rosé) musste für das Bad, das zu unserem Zimmer gehört, ein Marmor aus Indien herangekarrt werden. In dunklem Grün. Unsere Gastgeberin erzählt strahlend, wie sie damals als Kind gestaunt hat, denn Marmor in dieser Farbe, das war schon etwas sehr Exklusives.

In Badajoz steigen wir diesmal etwas außerhalb im Hotel Las Bovedas an der Autobahn ab. Für uns passt es perfekt. Ein großes und gemütliches Zimmer und nahe an den Fahrradläden der Stadt. Denen statten wir gleich mal einen Besuch ab. Denn so toll Kabelbinder auch sind, mir persönlich ist eine neue Schraube dann doch lieber. Katrin ist davon schnell überzeugt und so legen wir einen Pausetag ein, um das Rad gefixt zu bekommen. Fernando von Bicicletas nimmt sich der Sache an. Ich bekomme ein schickes „Urban-Bike“ geliehen, um mobil zu sein und er ist optimistisch, dass er die Schraube aus dem Gewinde herausbekommt und eine neue hinein.

Schöner Nebeneffekt: Wir können nochmals das beschauliche Städtchen am Abend genießen und von Bar zu Bar hüpfen.

Am nächsten Tag schickt Fernando ein Video seiner Arbeit und der Nachricht: „Your bike is ready“.

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