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(Ein) treiben lassen

von sabbatradler
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20.11.2009 (k) Hanoi

Im Elegance Hotel 4, das für zwei Nächte unsere edle Herberge ist, wird sehr viel wert auf Service gelegt. Mit “good morning mister Matthias” werden wir im Frühstücksraum empfangen –  viele arbeitende Hände sind bereit, uns unsere Frühstückswünsche zu erfüllen. Das Hotel ist wirklich sehr zu empfehlen, kein Wunder, dass alle vier Filialen permanent ausgebucht sind.

Mit dem Fahrrad begeben wir uns hinein in den Strom der Mofas und gleiten entlang der Bahngleise, die etwas erhöht verlaufen bis zur Eisenbahnbrücke am Roten Fluss. Irsinnig, welch ein Trubel hier überall herrscht. Ein Stand mit gebratenen Hunden – ein Mann kauft soeben einen Teil davon in mundgerechten Stücken als “take away”, viele Klamottenverkäufer, dann wieder Nudelküchen, in denen so viel Betrieb herrscht, dass die kleinen roten Plastikhocker kaum ausreichen. Der ganze Bereich am Bahndamm ist ein einziger großer Markt. Hier könnte man wahrscheinlich mal wieder alles finden. Mit den Rädern ist es schwer, die Flut an Eindrücken aufzunehmen – nur nicht zu lange schauen, sonst hat man wieder ein Moped an der Wade oder fährt einem fliegenden Händler hintendrauf. Auf der Eisenbahnbrücke herrscht ein wenig Ausblick, Molle versucht, den Strom an Mopeds, die seitlich entlangbrausen, mit “Schweif” zu fotografieren. Mich spricht derweil eine junge Frau an. Sie sei Studentin und sammle fürs Rote Kreuz. Sie zeigt mir ihren einschlägigen Ausweis und ein Schreiben, das in sehr gutem Deutsch verfasst ist, mit der Bitte um eine freiwillige Spende, egal welcher Höhe. Da sie einen sehr freundlichen und offenen Eindruck macht und irgendwie seriös erscheint, bin ich bereit, mich in ihr Spendenbuch, das sie mir unter die Nase hält, einzutragen. Ich sehe, dass schon viele Touristen darin stehen – immer schön mit Name und Land, aus dem sie kommen sowie der gespendeten Summe. Ich orientiere mich an den anderen Summen und trage mich für 100000 VND ein, was 4 Euro entspricht. Tja, und irgendwie steht auf meiner Stirn wahrscheinlich: “ich bin zu lieb und gutgläubig und kann sowieso nicht nein sagen” – und so schafft sie es, von mir nochmals die gleiche Summe in Molles Namen einzutreiben. Artig bedankt sie sich und kurz später sehe ich sie auf ein Moped zu einem Mann steigen und bilde mir noch ein, sie händigt ihm das Geld aus. Das war natürlich nichts. Nein, so sammelt das Rote Kreuz nicht, ich weiß – ich weiß auch, dass ihr Geburtsjahr auf dem Ausweis nicht mit dem auf dem deutschen Zettel übereinstimmt, ich weiß auch, dass man Spenden nicht nur bei Touristen sammelt, ich weiß auch, dass das ein dummer Reinfall war. Und dass 200000 VND hier verdammt viel Geld sind. Aber in der Situation ist es schwierig. Das Gehirn rattert, das latent schlechte Gewissen, mit dem ich mich sowieso in armen Ländern immer konfrontiert sehe, meldet sich. Man sollte mehr helfen – man sollte mehr abgeben. “Vielleicht lügt sie ja nicht – was ist, wenn sie nicht lügt, dann stehst du als knickeriger, geiziger Touri da – es haben sich ja auch viele andere eingetragen – man darf nicht immer gleich was Schlechtes glauben – sie wirkt wirklich wie eine Studentin, ihr Englisch ist doch gut, der deutsche Zettel ohne Grammatikfehler – bestimmt eine Austauschstudentin, die den geschrieben hat – …” Was bleibt, ist der Ärger danach: nein, natürlich nicht schlimm, 8 Euro. Aber ich ärgere mich. Ich ärgere mich, dass dieses Geld nun irgendein dummer Sack hat, der sich so dreist bereichert (wenn die Liste echt ist, und so sah sie aus, dann kommt da ein nettes Sümmchen zusammen), der wahrscheinlich wieder irgendjemanden unterdrückt; ich ärgere mich, dass ich nicht nein sagen kann, dass ich mich nicht wehren kann, wenn man mich um etwas bittet; ich ärgere mich, dass mir so etwas „passiert“ – nach so viel Erfahrung in Asien, da kann man doch nicht in so etwas reinfallen; ich ärgere mich, dass ich das Geld nicht jemandem geben konnte, der es verdient hat; ich brauche einen Schuldigen. Keiner da? Ach doch, da drüben, da sitzt ja einer mit einer Fotokamera und knipst rasende Mopeds. Der ist schuld, der ist nicht gekommen, um mich zu erlösen – um den Schwindel zu durchschauen und um “Nein” zu sagen. Genau, der ist schuld! Wie gut, dass man verheiratet ist!

Wir cruisen weiter zum Touranbieter “Ethnic Travel” und buchen eine 4-Tage-3-Nächte-Tour, die am 23.11. beginnen soll. Mit einem 16-Sitzer Bus werden wir in die trockene Halong-Bucht, ins Delta des Roten Flusses und in die Bai Tu Long Bay (eine Bucht, etwas nördlich der Halongbucht) fahren. Der Anbieter hat sich nachhaltigem Tourismus verschrieben. Die ganze Tour ist angeblich so konzipiert, dass man die Massentouristenströme vermeidet, man schläft in einfachen Unterkünften und in einem “homestay”, man wird Dörfer besuchen und ein wenig Fahrrad fahren. Nicht, dass wir noch nicht genug gefahren wären, aber für unsere beiden Damen, die ab morgen hier sein werden (Molles Mutter und ihre Freundin Helga), wollen wir ja auch etwas bieten. Die Halongbucht hätten wir sowieso als Ausflug gebucht und in die trockene Halongbucht wären wir auch auf eigene Faust gefahren. So klingt das Paket für 160 Euro pro Nase wirklich gut: eine private Tour, ein Fahrer, ein Guide und wir vier (den 16er Bus bekommen wir, weil wir auf unser vieles Gepäck hingewiesen haben), alles inklusive außer Getränken. Wir lassen uns überraschen und hoffen, dass wir am 26.11. pünktlich für unseren bereits gebuchten Nachtzug nach Hue am Bahnhof abgesetzt werden. Mal eine andere Reiseart für uns.

Im Nola-Café machen wir eine kurze Stadtpause. Wir sitzen auf der Dachterasse dieses für Hanois Altstadt beispielhaften Tunnel- oder Röhrenhauses. Diese Häuser sind zum Teil nur 2 Meter breit, aber nach hinten bis zu 60 Meter lang. Unterbrochen von lichten Innenhöfen, mit engen Treppen hinauf in die oberen Stockwerke. Das Nola-Café ist ein Künstlerhaus – mit seinem lockeren, kreativen Einrichtungsstil schafft es Eindruck und könnte auch sehr gut in einem hippen Berliner Viertel stehen.

Die weitere Fahrt durch das Französische Viertel, das im Gegensatz zu den engen Gassen der Altstadt große, baumgesäumte Boulevards aufweist, führt uns am Opernhaus (mit ionischen Säulen und grauen, aus Frankreich importierten Schieferplatten) und vielen alten Villen vorbei zu einem thailändischen Restaurant, wo wir uns einen Vorgeschmack auf unseren Besuch in wenigen Wochen holen. Der späte Nachmittag ist der Regeneration gewidmet. Ab morgen sind wir ja Reiseleiter.

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