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In und um Napoli herum

von sabbatradler
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Neapel mit dem Fahrrad? Wir haben ja unter anderem schon Bangkok, Paris, Hanoi und einige Millionenstädte Chinas im Sattel erobert! Dann wird das doch hier auch schaffen, oder? Erstaunlich gut sogar. Quer durch die Stadt, bis an dessen Toren im Osten verläuft sogar ein Fahrradweg.

Erst an der Promenade entlang, dann mitten durchs Herz. Der Verkehr ist natürlich chaotisch, aber nicht sonderlich schnell. Dass man mit weniger als 1,5 m Abstand übeholt wird – geschenkt. An die +-20cm haben wir uns (fast!) schon gewöhnt. Es gilt sich in den Fluss einzureihen und niemals auf sein Recht zu bestehen. Vorfahrt hat der Stärkere! Am gefährlichsten sind in der Tat auch die Vespas, die sich gerne schnell bis sehr schnell durch jede sich bietende Lücke quetschen. Wie überall auf der Welt haben wir auch – oder gerade – in Neapel keinerlei scheu Einbahnstraßen und Fußwege zu befahren. Während man in Spanien dafür manchmal eine gerümpfte Nase oder sogar eine Beschwerde einfängt, ist das hier jedem und jeder total egal. Uns bietet sich so jederzeit die Möglichkeit, dem Verkehr schnell mal auszuweichen. Das anspruchsvollste bleibt fast das sehr ruppige Kopfsteinpflaster, das aus großen Steinquadern besteht und uns ab der Stadtgrenze bis zum Camping Vesuvio in Ercolaneo begleitet.

Auf dem Weg dahin bieten sich schon die ersten beeindruckenden Blicke auf die Lengede: den Vesuv! Er thront hinter der Stadt und wüsste man nicht, welche potentielle Gefahr von ihm ausgeht, man könnte ihn mögen. Wahrscheinlich mögen die Neapolitaner ihn auch.

Nicht heranreichen wird diese Liebe aber an den SSC Neapel – den Fußballverein, für den wahrscheinlich gut 99,9% der Neapolitaner überhaupt jeden Morgen aufstehen. Jede Nacht dient vermutlich nur dazu, die Zeit bis zum nächsten Spiel zu verkürzen. Ist er da, der Sonntag, der Tag des Spiels, beginnt nach kurzer Extase, das Warten von Neuem. In diesem Jahr ist dem Club die „Scudetta“, die italienische Meisterschaft, kaum mehr zu nehmen und was in den Wochen, Monaten oder Jahren :) nach dem tatsächlichen Gewinn hier los sein wird, das lässt sich vermutlich nicht mal erahnen. Das letzte Mal kam die Trophäe unter der Herrschaft von „Gott Maradonna“ in die Stadt. 1989 war das. Weiter südlich als Neapel war die „Scudetta“ übrigens noch nie. Der ewige Kampf zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden. Der Fußball als Sinnbild der italienischen Gesellschaft. In einer kleinen Bar kommen wir mit ein paar Männern ins Gespräch und einer erklärt uns, wie Juventus Turin hier genannt wird: Rubentus Turin – vom ital. rubere = stehlen. Geld, was sonst!

Der Campingplatz liegt im Anstieg zum Vesuv auf 100 Metern Höhe, von unserem Platz aus haben wir einen schönen Blick auf einen der berühmtesten Vulkane der Welt. Hier bleiben wir erst mal, der Camping ist eine schöne Basis für unsere Erkundungen in der Region.

Den nächsten Tag nehmen wir uns Neapel vor – die Abwägung ob das mit Zug, Metro und zu Fuß sein soll oder doch mit dem Rad fällt mal wieder zugunsten des Rades aus. Wir lieben einfach diesen Radius, der uns damit ermöglicht wird, die vielen besonderen Blicke und Beobachtungen vor und hinter dem „Centro Storico“. Und auch die Tatsache, dass man nicht weiß, was einen im Zentrum erwartet. So ist es auch hier in den Gassen ziemlich voll und touristisch und wir sind einfach glücklich, dass wir das zügig hinter uns lassen können. Neapel hat seinen eigenen Charme, der erschließt sich vielleicht nicht auf den ersten Blick, auch pompöse Gebäude wirken oft eher etwas heruntergekommen oder wenig einladend.

Auf dem großen Domplatz plazieren sich keine Reisegruppen und auch keine Insta-Girls, vielmehr einfach Menschen, die hier wohnen oder die hier versuchen, ihr Leben zu meistern.

Pissige Ecken, Obdachlose, Müll oder dunkle Ecken – sofort in Reichweite von 4-Sterne-Hotels, es wirkt nicht herausgeputzt oder geschönigt. Und wahrscheinlich macht das das Herz der Stadt aus. Die Stadt ist aber auch – wie eigentlich jede italienische Stadt, habe ich das Gefühl, Shoppingmeile. Edel muss es sein. Da kann man sich zum Beispiel einen Schuh kaufen, der aussieht wie Hundescheiße und dann fällt es nicht auf, wenn man in welche hineintrifft. Praktisch :-)

In den engen, steil ansteigenden Altstadtgassen kommen nur noch Rollerfahrer oder Fußgänger zurecht – und natürlich Fahrradfahrer, aber da sind wir ja eh fast die einzigen. Hier wird einfach gewohnt, das macht es so normal und vielleicht doch so ungewöhnlich und befremdlich.

Mehr noch als die Wäsche vor den Fassaden, tanzen die Fähnchen und Bänder für den SSC Napoli zwischen den Häusern herum und geben der ganzen Stadt ein blau-weißes Herz. Nicht nur in den Quartieri Spagnoli findet sich Diego Maradona auf Hauswänden verewigt. Ein hinduistischer Schrein ist harmlos dagegen. Ich lasse mir einen Zitronen-Orangen-Saft von einem alten Neapolitaner pressen, der hier seit Jahren seine Bude betreibt und das Treiben beobachtet. Es gibt langweiligere Arbeitsplätze auf dieser Erde.

Manch einer versucht es auch als Diego-Verschnitt.


Am Nachmittag hoppeln wir hinaus nach Ercolaneum, wo oberhalb unser Agricamping liegt. Die Ausgrabungen der ebenfalls wie Pompeij vom Vesuvausbruch 79 n. Chr. verschütteten Stadt betrachten wir von oben – hier ist angeblich besonders viel sehr gut erhalten. Unsere Wahl, welche Stätte wir genauer anschauen werden, fällt allerdings auf das größere Pompeij.


Flächig sind die engen Gassen südlich der Bahnlinie von Marktständen voller Krimskrams, billigen Klamotten oder Alltagsgegenständen überzogen. Wir schlängeln uns durch das chaotische Souk-Ambiente hinauf zum Agricamping Vesuvio und genießen die wohlige Ruhe.

„Sold out“ – ein Berg im Ausverkauf
Ein Phänomen von „over-tourism“ ist ja, dass man alles rechtzeitig planen, buchen und reservieren muss. Wobei man nicht immer weiß, wann „rechtzeitig“ ist und wobei man nicht immer planen kann und will, vor allem bei solch einer individuellen und flexiblen Reiseart wie dem Radreisen. Von daher kann es halt auch sein und wird wahrscheinlich immer öfter so sein, dass man bestimmte Dinge nicht sieht, obwohl man theoretisch am richtigen Ort wäre. In Spanien haben wir das ja auch schon gemerkt und warum sollte es hier anders sein? Es sind halt nicht mehr 4 Milliarden Menschen auf dieser Erde, sondern ein paar mehr. Und wenn man es den Menschen so leicht macht, mit einem Bus bzw. dem eigenen Auto fast bis zum Gipfel des Vesuvs zu fahren und sollte der Parkplatz nur sehr weit unten frei sein noch mit einem Shuttle bis hoch zu fahren, dann braucht man sich nicht zu wundern, dass „der Vesuv“ auf Tage ausverkauft ist. Aber, es ist ja gar nicht der ganze Vesuv ausverkauft. Der Nationalpark ist frei zugänglich und von unserem nächsten Agricamping Giuliana bei Pompeij – von dem wir wiederum Vesublick haben – radeln wir einen wunderschönen, neu reparierten Weg hinauf bis auf knapp 1100 Meter.

Im stark besiedelten Gebiet um Boscotrecase passieren wir noch ein paar „Paläste“, die zum Heiraten oder für andere „eventi“ gebucht werden können. Einige davon sind auch schon dem Verfall ausgeliefert, andere sehen eher neu aus.

Kein Auto stört uns, denn hier darf keines fahren. Nur ein paar Naturliebhaber stöckeln die Betonstrecke nach oben, die sich irgendwann in einen kleineren Wanderweg aus Plastersteinen und Lavakies verengt.

Viel des Waldes ist kaputt, einem Waldbrand zum Opfer gefallen.

Wir genießen die Ruhe und die schöne Auffahrt, ich bin etwas unzufrieden mit der Wetterlage – es ist sehr diesig und wolkig, so dass man nur ein zwielichtiges Panorama in Richtung Sorrent und Capri hat, aber der Nebel und die Wolken machen auch eine interessante Stimmung und spenden etwas Schatten, was nicht schadet. Am Rangerhäuschen ist dann Schluss – die paar Kehren hinauf zum Kraterrand und der Krater-Wanderweg sind nur den Leuten mit Tickets vorbehalten. Da wir das bereits wussten und gesehen hatten, dass die nächsten verfügbaren Tickets erst in ein paar Tagen zu haben wären, sind wir nicht enttäuscht, auch wenn es schon schön gewesen wäre, noch hinaufzusteigen und einen Blick in den Schlund zu werfen. Von dieser Seite ist kaum jemand zu sehen, aber wir fahren noch eine kurze Verbindung hinüber auf die andere Seite, wo die Autostraße hinaufführt, auf der uns sofort zwei Busse begegnen. Wir machen auf dem Hinterrad kehrt.

50 Personen werden maximal alle 10 Minuten auf den Kraterweg gelassen. Bei Öffnungszeiten von 9 bis 17 Uhr sind das – da er ja „sold out“ ist (ein Ticket kostet 8 Euro) – 2400 Leute pro Tag und 19200 Euro. Vielleicht sind Privattouren oder andere Kontingente noch gar nicht eingerechnet. Armer Vesuv, eigentlich wärst du es wert, dass man dich aus eigener Kraft erklimmen müsste. Dann wäre auch sicherlich noch Platz am Kraterrand.

Die Sonne setzt sich durch, eine tolle Abfahrt bringt uns hinunter, Ausblicke inbegriffen – wer braucht schon Krater?

Wettlauf gegen die Massen

Mit unserem Lager auf dem Agricamping La Giuliana, 3km nördlich von Pompeij, haben wir uns in eine gute Ausgangslage zur Besichtigung des Vulkans und zur Besichtigung des vom Vulkan verschütteten antiken Pompeijs gebracht. Bereits am Anreisetag (waren ja nur 25 Kilometer vom letzten Camping) fahren wir zu der antiken Stätte.

Es ist Freitag und der Platz um die Basilika von Neu Pompeij und die Fußgängerzone um den ersten Eingang sind voller Menschen.

Die meisten sind Jugendgruppen – scheint ein günstiger Tag für eine Klassenfahrt zu sein. Wir haben beschlossen, die Besichtigung nacheinander zu machen, damit einer bei den Rädern bleiben kann. Molle hat keine Lust, anzustehen, und so wechseln wir den Eingang und versuchen es am zweiten „Gate“ etwas westwärts. Dort kann Molle für 18 Euro direkt in die Vergangenheit abtauchen. In den nächsten 1,5 Stunden läuft er im Stechschritt und gegen den Strom durch die alten Gassen, vorbei an einfachen Häusern, zum Forum, zu den Theatern, zum Amphitheater, durch Gärten und Tempel.

Im Museum kann man Menschen-, und Tierleichname bestaunen, die in ihrer Pose konserviert wurden, in der sie 79 n Christus von der Asche überrascht und getötet wurden. Die von den Archeologen gefundenen Hohl-Körper wurden mit Gips gefüllt und liegen sehr anschau-rig da.

Als Molle zurückkommt und ich reingehen möchte heißt es bereits, für heute sei die Anlage geschlossen. Eigentlich ist bis 17:30 Uhr geöffnet, aber sie schließen den Eingang bereits zwei Stunden vorher. Daher ist um 16 Uhr jetzt nichts mehr zu machen. Wir verschieben meinen Besuch der Stätte auf Sonntag. Da es der erste Sonntag im Monat ist, ist der Eintritt frei. Die Chance wil ich nutzen, wenn man schon mal zur richtigen Zeit da ist.

Am Sonntag betrete ich also das Arenal am Morgen und die erste Stunde ist alles noch einigermaßen ruhig. Da auch ich antizyklisch laufe, schaffe ich das Museum, das Forum und die großen Tempel und Theater noch vor dem großen Andrang. Mit der Zeit füllt sich das alte Pompeij mit Massen an Menschen. Vor allem Reisegruppen schieben sich durch und Blockieren die Eingänge zu den Häusern der Wohlhabenden, für die man nur begrenzt Zutritt bekommt. Auch bei den Thermen Stabani müsste ich 30 Minuten anstehen, was ich natürlich nicht mache. Ich finde auch so genügend Eindrücke, Kleinigkeiten, Blickwinkel und Überraschungen, dass ich auch auf einige Berühmtheiten verzichten kann.

Und ich versuche eine „Challenge“, nämlich Fotos ohne Menschen darauf zu machen. Was mir am Anfang sogar noch gelingt.

Am Ende meiner Runde nach 2 Stunden muss ich mich regelrecht durchwühlen, um wieder nach draußen zu kommen. Ob das antike Pompeij damals auch schon mal so voll war?

Immerhin war es nur ein Wettlauf gegen die Massen und nicht ein Wettlauf gegen die Zeit, wie damals, 79, als der Vulkan ausbrach.

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