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21.06.2010 (m)
Zum ersten Mal seit vielen Monaten werden unsere Pässe beim Grenzübertritt nicht von hinten nach vorne und vorne nach hinten durchgeblättert, keine kritischen Blicke in unsere Gesichter, nicht das Gefühl, auf der Anklagebank zu sitzen, etwas falsch gemacht zu haben. Nichts von alledem, nur ein kurzes „here we go“ nach dem Check unseres roten EU-Passes vom freundlich lächelnden, finnischen Grenzbeamten im „Sibelius“ von St. Petersburg nach Helsinki und wir sind wieder in der EU. Wie fühlt es sich an? Gar nicht, um ehrlich zu sein. Natürlich gehen einem viele Gedanken durch den Kopf, die große Freiheit vom Reisen im Fernen Osten schwindet zunehmend, je näher man sich der Heimat und damit dem geregelten Leben mit all seinen Pflichten annähert. Andererseits ist dieses geregelte Leben mit Freunden, Familie, Arbeit und Freizeit in einer vertrauten Umgebung ja auch nicht zu verachten. Das Feuer, ferne Länder zu bereisen und beradeln brennt aber immer noch, vielleicht mehr als je zuvor. Mal sehen, wie es weitergeht.
Zunächst geht es aber mal in Finnland weiter, das Land der tausend Seen und noch mehr Hügeln. Eine frische Brise umweht unsere Nasen, es ist so kühl wie seit Japan nicht mehr. Die Luft ist aber herrlich klar, es ist ruhig auf dem Bahnhof von Kuovola. Am Ritual des Räder Beladens und durch Unterführungen zu hieven, ändert sich aber auch hier nichts (der Aufzug ist gerade erst im Bau). Wir rollen durch die kaum befahrenen Straßen in Richtung des Campingplatzes, der sich an einem See in der Nähe befinden soll. Die Suche nach dem Abendessen führt uns, vorbei an einem SMarket (eine finnische Supermarktkette), wo mir gerade die Eingangstür vor der Nase versperrt wird (20:51 Uhr), zu einem „Kioski“, wo ein herzerwärmend strahlendes Mädel mit wasserstoffblondem, schulterlangem Haar eine große Portion frittierte Wurststückchen mit Pommes, Zwiebeln und saueren Gurken serviert, ehe sich auch hier Punkt 21 Uhr die Rolläden mit lautem Geknatter schließen. So sitzen wir vor unserer übergroßen Portion Fett, lassen ein russisches Bier dazu fließen und kommen uns vor wie in einem dieser abgedrehten skandinavischen Filme. Erst recht, als kurze Zeit später ein älterer Mann in kurzen Hosen, Socken, Sandalen und einem – jawoll – „Adolf H. – World Tour 1938 – 1945“-Shirt angeradelt kommt. Wir trauen unseren Augen kaum. Der Mann freut sich sichtlich, dass wir aus Deutschland kommen (war zu erwarten) und preist den schnauzbärtigen Massenmörder als „good man“, der als einziger den Finnen gegen die russische Übermacht zur Hilfe geeilt sei. Na ja, auf politische Diskussionen lassen wir uns da jetzt lieber nicht ein und so sprechen wir ein bisschen über woher wohin und erhalten schließlich die Adresse des Mannes, da er so gerne eine Postkarte aus Deutschland bekommen würde. Wir sagen zu, machen uns aber noch ein Weilchen Gedanken darüber, welches Motiv wir für die Karte wählen werden.
Der Campingplatz ist ein skandinavischer Traum. Herrlich am Seeufer gelegen, der Sonnenuntergang um 23 Uhr könnte dramatischer kaum sein, ebenso die Moskitos, die in Dutzenden um unsere Köpfe und nackten Füsse schwirren. Da wir aber jetzt wieder in einer malariafreien Gegend sind, erdulden wir die zahlreichen Stiche tapfer. Obwohl es sowieso total ruhig ist am See, scheucht uns die Securitiy des Platzes um kurz nach Elf ins Zelt. Wahrscheinlich sollten wir uns auch mal wieder ausschlafen.